Internationale Tagung in Zürich – 8. – 9. Juli 2011
Soziale Arbeit im gesellschaftspolitischen Diskurs.
Wie viel und welche Normativität brauchen Sozialpädagogik und Sozialarbeit?
Es besteht in der internationalen Forschung kein Zweifel daran, dass in institutionalisierten
Bildungs- und Wohlfahrtsarrangements normative Vorstellungen eingebettet
sind, ohne die diese nicht zu verstehen wären. Auch die Sozialpädagogik und Sozialarbeit
sind normativ begründete Praktiken. Sowohl ihre Gegenstände (z.B. soziale Deprivierung
und Ungleichheitsdynamiken, Erziehungs- oder Entwicklungsschwierigkeiten,
die Ermöglichung von Bildungsprozessen oder die Bearbeitung sozialer Lebensführungsprobleme)
als auch die Ziele der Sozialpädagogik und Sozialarbeit, seien es die
Erhöhung von Chancengleichheit, die Sicherstellung des Humankapitals oder die Ermöglichung
‚sozialer Subjektivität’, sind von gesellschaftspolitischen Bewertungen
durchdrungen und können ohne expliziten oder impliziten Bezug auf normative „Soll-
Zustände“ nicht auskommen.
Fraglich ist daher weniger, ob Sozialpädagogik und Sozialarbeit auf normativ-politische
Maßstäbe aufbaut, sondern, um welche Maßstäbe es sich handelt. Ferner stellt sich die
Frage, inwiefern sich Sozialpädagogik und Sozialarbeit lediglich auf die gesellschaftlich
und historisch je vorherrschenden Maßstäbe beziehen oder ob sie als Profession und
Disziplin willens und in der Lage ist, diese Vorgaben reflexiv zu prüfen und ggf. eigene
Zielgrößen zu begründen.
Die Frage nach der Normativität in der Sozialpädagogik und Sozialarbeit ist insofern
auch eine Frage nach ihrer professionellen und disziplinären Autonomie sowie eine
Frage danach ob Sozialpädagogik und Sozialarbeit mehr sind als affirmative sozialtechnologische
Instrumente.
Diese Frage stellt sich umso dringlicher, da die Normativität des Wohlfahrtsstaats, die
eine nahezu selbstverständliche Hintergrundfolie für die Professionalisierungsstrategien
der modernen Sozialen Arbeit darstellt, zunehmend zur Disposition gestellt wird. So
radikalisiert sich in vielen europäischen Ländern der gesellschaftspolitische Diskurs
über eine Neubestimmung des Sozialen. Das betrifft sowohl die sozialen Sicherungssysteme
als auch die Restaurierung eines übergreifenden Kontrollparadigmas als normative
Leitlinien für das alltägliche Leben insbesondere in Kontexten von Arbeitslosigkeit,
Armut und Verelendung. Der Abbau wohlfahrtsstaatlicher Strukturen ist unübersehbar.
Die Erosion gesellschaftlicher Solidarität im sozialpolitischen Werteraum und eine zunehmende
gesellschaftspolitische Hinterfragung des ökonomischen und sozialen Ausgleichs
werden begleitet durch eine programmatische Ideologisierung von Eigenverantwortung
als eine Art Selbstregulierung ungünstiger oder benachteiligter Lebensverhältnisse,
oft verbunden mit einer moralischen Infragestellung eines materiellen Versorgungsniveaus.
Mit der Frage, wie viel und welche Normativität Sozialpädagogik und Sozialarbeit
brauchen, sollen diese Prozesse im Rahmen dieser Tagung analysiert und zugleich der
Frage nach den Bedingungen, Möglichkeiten sowie konzeptionellen Fluchtpunkten und
Zielgrößen professioneller und disziplinärer Autonomie in einem internationalen Rahmen,
insbesondere in der Schweiz, Deutschland und Österreich, nachgegangen werden.
Tagungsprogramm: siehe Anhang