Wozu brauchen wir einen World Social Work Day?
Ein Beitrag von Prof. Dr. Günter Friesenhahn zum World Social Work Day 2012
Unbestritten ist, dass die politische Stabilität und die wirtschaftliche Prosperität eines Landes wichtig sind. Aber sie verlieren an Wert, wenn nicht gleichzeitig soziale Gerechtigkeit erfahren, politische Teilhabe realisiert und die Erfahrung des notwendigen materiellen Ausgleiches zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft gemacht werden kann. In Deutschland ist ein solcher Anspruch auch in der Verfassung grundgelegt: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ Konkrete Leistungsforderungen können aus diesem Statement indes nicht abgeleitet werden und deswegen wird um die Auslegung dieses Anspruches in einer dynamischen Gesellschaft immer wieder gerungen.
Auf der >großen Bühne< agieren Politiker, Wirtschaftsfunktionäre und Lobbyisten, Sozialverbände und Gewerkschaften, manchmal berufen sie sich auf bei der Durchsetzung ihrer Interessen auf wissenschaftliche Befunde. Gerade die derzeitige Vorherrschaft der ökonomischen Themen, oft verbunden mit vermeintlich „alternativlosen“ politischen Entscheidungen, macht es aber auch erforderlich, mit Nachdruck auf Engagement, Leistungen und Kompetenzen anderer systemrelevanter Akteure aufmerksam zu machen.
Auf der >Bühne des täglichen Lebens< – und die ist mindestens ebenso wichtig – sind es die Angehörigen der sozialen Berufe, die durch ihr professionelles Engagement für einzelne Menschen, Gruppen und Gemeinwesen mithelfen, deren Interessen zu befördern und berechtigte Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger durchzusetzen.
Soziale Arbeit ist in vielfältiger Weise an wohlfahrtsstaatliche Arrangements gekoppelt, muss und kann aber auch mit eigener Expertise und in fachlicher Verantwortung Entwicklungen kritisieren, die die Chancen und Beteiligungsrechte von Bürgerinnen und Bürgern eher beeinträchtigen anstatt sie zu bestärken.
Die Balance der sozialstaatlichen Elemente ist für eine positive gesellschaftliche Entwicklung, für den notwendigen sozialen Zusammenhalt unverzichtbar.
Der Europarat, eine bedeutende Instanz der Wahrung der Menschenrechte in Europa, definiert soziale Kohäsion als die Fähigkeit einer Gesellschaft, das Wohlergehen all ihrer Mitglieder zu sichern und durch Minimierung von Ungleichheiten und Vermeidung von Marginalisierung Unterschiede und Spaltung zu bewältigen sowie die Mittel zur Erreichung des Wohlergehens aller zu gewährleisten. Soziale Kohäsion ist ein politischer Begriff, der wesentlich für die Erreichung der drei zentralen Werte des Europarates ist: für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Dabei geht es darum, wie gesellschaftliche Vielfalt anerkannt und organisiert wird und Ungleichheiten beseitigt werden. Es geht um die Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung, es geht um Partizipation und die Stärkung des Ehrenamtes und der Zivilgesellschaft. Es geht darum, soziale Beziehungen herzustellen und zu festigen und präventive Angebote im Sinne der Betroffenen zu machen. Es geht um die Zugangsberechtigung zu Bildungs-, Förder- und Betreuungseinrichtungen.
Und es geht um die seriöse, wissenschaftsgeleitetete Analyse der Bedingungen und Verhältnisse, die der berechtigten Einlösung von Menschenrechten entgegenstehen und die Würde einzelner herabsetzen. Das macht Soziale Arbeit weltweit und daran erinnert der World Social Work Day am 20. März.
Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen sind einer Berufsethik verpflichtet, die das Eintreten für Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit zu Grundbestandteilen des Berufes erhebt. Diese Berufsethik ist der Konsens, auf den sich die Weltverband der Sozialarbeiter (International Federation of Social Workers IFSW) und die internationale Vereinigung der Ausbildungsstätten für Soziale Arbeit (International Association of Schools of Social Work -IASSW) beziehen. So beschreiben sie die Aufgaben von Sozialer Arbeit grenzüberschreitend und weltweit. Es sind Ziele, die im Alltag von Sozialarbeitern angesichts der gesellschaftlichen Bedingungen sicherlich auch als Zumutung und unerreichbar verstanden werden können, die aber dennoch als Ideale im praktischen beruflichen Handeln Orientierung und Halt bieten.
Sozialarbeiter organisieren Freizeiten und Bildung, betreuen Menschen in Notlagen und sorgen für ein gelingendes Leben. Die Anerkennung dafür bleibt oft bescheiden. Um diesen Zusammenhang geht es, wenn aufgerufen wird, den World Social Work Day mit Leben zu erfüllen.
Soziale Arbeit setzt sich dafür ein, dass alle Menschen einen Zugang zu Ressourcen, Rechten und Dienstleistungen erhalten. Lernen ermöglichen, Hilfen bereitstellen, für gute Lebensbedingungen sorgen sind zentrale Aufgaben. Diese Ziele erfahren in unserer Gesellschaft auch deshalb immer mehr Aufmerksamkeit, weil damit auch Integration vorankommt und Exklusion verringert werden kann.
Durch das berufliche Handeln in der Sozialen Arbeit werden auch soziale Produktivkräfte entfaltet. Die Angehörigen der sozialen Berufe investieren mit ihrer Arbeit also doppelt in das Wohlergehen der Gesellschaft.
Besonders da aber, wo der Sozialen Arbeit die sozialstaatliche Einbindung und der Rückhalt einer rechtlichen Rahmung fehlen, sind Sozialarbeiter auf sich gestellt und riskieren Sanktionen, wenn sie sich für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit einsetzen. Zudem sind viele gesellschaftliche, wirtschaftliche und soziale Probleme mit nationalstaatlichen Mitteln und Strategien allein nicht mehr zu lösen. Zukünftige Herausforderungen müssen zusammen grenzüberschreitend angenommen werden. Das erfordert auch eine internationale Solidarität mit und für Menschen in besonderen Lebenslagen und mit denen, die sich für andere im Sinne der Sozialen Arbeit einsetzen.
Die internationalen Vereinigungen der Sozialen Arbeit begehen am 20. März den sogenannten „World Social Work Day“. Sie haben eine „Globale Agenda“ ausgearbeitet, die sich kompromisslos für Gleichheit, für die Betonung von Menschenwürde, für nachhaltige Entwicklungen, für die Stärkung der sozialen Beziehungen und des sozialen Zusammenhaltes einsetzt. Sie verweisen auf die sozialen Verwerfungen und Schäden, die durch unberechenbare Marktkräfte weltweit verursacht werden und fordern weltweite Solidarität mit den Betroffenen ein. Diese Globale Agenda wird am 26.März 2012 u.a. Repräsentanten der Vereinten Nationen, der Europäischen Union, des Europarates mit der Forderung um Unterstützung der Ziele überreicht
Soziale Arbeit ist in vielen europäischen Ländern Teil der Infrastruktur des Sozialstaates, um den uns bei aller berechtigten Kritik im Detail Viele in anderen Regionen der Welt beneiden. Soziale Arbeit hat sich in den letzten Jahren modernisiert und weiter professionalisiert, kann aber trotzdem nicht all dies abfedern, was an sozialen Problemen in unserer Gesellschaften entstehen. Politik ist durch Soziale Arbeit nicht zu ersetzen. Soziale Arbeit dagegen ist konkrete Mitarbeit am und Stärkung des Sozialen. Sie beteiligt sich am Auf- und Weiterbau einer Gesellschaft und ist nicht schlechthin der Reparaturbetrieb der Gesellschaften. .
Es sind viele kleine Schritte notwendig, um die großen Ziele zu erreichen. Dazu bedarf es der Vernetzung mit sozialen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen Bündnissen. Es bedarf auch der Unterstützung und Anerkennung von der >großen Bühne<. Dies aktuell, im März 2012 in Erinnerung zu rufen und die weltweit erbrachten Leistungen der Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen für den notwendigen sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft nachhaltig zu unterstreichen hat sich der >World Social Work Day< am 20.März zur Aufgabe gemacht. Diesen Tag und die dahinterstehenden Motive zu würdigen, geht alle an.
Prof. Dr. Günter J. Friesenhahn
Hochschule Koblenz
Vize-Präsident der European Association of Schools of Social Work – EASSW
International Association of Schools of Social Work
http://www.globalsocialagenda.org/?page_id=82
International Federation of Social Workers (IFSW)